Warum faszinieren den Menschen schwarze Pferde in solch einem besonderen Maße? Worin liegt ihre Magie? Ist es der geheime Wunsch nach Abenteuer und Freiheit? Oder gar danach, einer geheimen Gemeinschaft anzugehören? Oder ist es schlicht die traumhafte Schönheit des schwarzen Pferdes, die uns so begeistert?
Gern erinnere ich mich an unsere kleine Show im Reitverein, bei der die „Schwarzen Reiter“ eine zentrale Rolle spielten. Die Show spielte mit Licht und Dunkelheit, mystischen Klängen und Kostümen, Feuer und Emotionen. Es kamen ausschließlich schwarze und dunkelbraune Pferde zum Einsatz. Alle waren Teil einer „Dunklen Macht“. Die Begeisterung war groß wie nie, beim Publikum wie bei den Akteuren.
Die Schwarzen Reiter
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Die schwarzen Reiter auf dem Wege sind
auf der Jagd nach dem verlorenen goldenen Reif
der zurückgeholt werden muss ins Dämonenreich
Sie reiten über die Erde wie der Sturm
dunkle Gestalten mit höllischem Murren
fegen alles hinweg mit stampfenden Hufen
überall vernimmt man ihr Schreien und Rufen
lauf um dein Leben, lauf
wenn die Berge beben und sich die Kontinente teilen
lauf, lauf um dein Leben
E Nomine, 2002
Was aber verbinden wir mit der Farbe Schwarz? In erster Linie wohl Macht, Stärke, Magie, Unterwelt, Verderben, Tod und Aberglaube, aber genauso auch Neugier, Kraft, Dominanz, Unnahbarkeit und Selbstbewusstsein – je nachdem, aus welchem Kulturkreis wir kommen. In unseren Breitengraden ist Schwarz die Farbe für den Tod, während z.B. in weiten Teilen Asiens die Farbe Weiß zu diesem Anlass getragen wird. Wenden wir uns der Geschichte zu.
Drehen wir das Rad der Zeit zurück, um ein berühmtes Pferd zu betrachten, genauer gesagt: ca. 1660 Jahre zurück. Wir befinden uns nun im Jahr 356 vor Christi Geburt. In jenem Jahr nämlich wird Alexander geboren, der sich später einen Namen machte als „Alexander der Große“. Er war Sohn des König Philipp II von Makedonien. Bezeichnenderweise setzt sich der Name „Philipp“ zusammen aus „philos“ (der Freund) und „hippos“ (das Pferd). Der Name Philipp bedeutet also nichts anderes als „Pferdefreund“. Sein Pferd „Bukephalos“ (= Ochsenköpfiger) soll Alexander nach der Erzählung des griechischen Schriftstellers Plutarch (ca. 45 – 125) als Junge mit ca. 10/12 Jahren von seinem Vater bekommen haben, nachdem es zuvor von niemand anderem gezähmt werden konnte. Alexander aber hatte festgestellt, dass sich das Pferd vor dem Schatten fürchtete. Also stellte er es zum Aufsteigen so, dass es keinen Schatten sehen konnte. Bei Alexanders Bukephalos handelte es sich übrigens der Erzählung nach um einen Rappen.
Während des Mittelalters gilt der Rappe als etwas Dämonisches, etwas unabwendbar Böses mit übersinnlichen Kräften. In der christlichen Kunst ist er ein Symbol für die dämonische Kraft. Er war Zeichen für Triebhaftigkeit, Leidenschaft, Fleischeslust und Hochmut, gleichsam für die Ketzerei und den Antichrist. Im Gegensatz dazu kennen wir die Lichtsymbolik in der christlichen Ikonographie: Christus wird von einem Schimmel getragen.
In der Darstellung der Vier Apokalyptischen Reiter finden wir ebenfalls einen Rappen: Der dritte Reiter sitzt auf einem Rappen und trägt eine Waage (Symbol für Teuerung). Er symbolisiert Hunger und Tod. In der Renaissance, die den Übergang vom Mittelalter zum Barock kennzeichnet, änderte sich die Symbolik in der Pferdedarstellung nur wenig. Jetzt waren Reiterportraits en vogue. Diese mussten nicht unbedingt aktuell sein, sie waren aber durchaus zweckmäßig, denn hier konnte man den Charakter der Hauptfigur noch viel deutlicher verherrlichen als dies mit Statuen der Fall gewesen war. Diese zeigten den Reiter gerne in einer standesgemäßen Haltung zu Pferde, für die bis dato die Statue des römischen Kaisers Marc Aurel in Rom als Vorbild diente.
Löhneysen beschäftigte sich in seinem Buch „Von Zeumen. Gründlicher Bericht des Zeumens und ordentliche Außteilung der Mundstück und Stangen wie diselbenn nach eines jeden Pferdts arth und eigenschafft sollenn gebrauchtt werden.“ in der Ausgabe von 1588 u.a. auch damit, welchen Einfluss die Fellfarbe auf den Charakter des Pferdes hatte. Zum Beispiel sei ein Rappe im Allgemeinen melancholisch, ungeschickt und faul. Ableiten lasse sich dies aus den vier Elementen. Des Rappen Element sei die Erde. Damit verbunden sei auch sein Zorn, der aus der schwarzen Galle komme. Allerdings fand er auch gute Pferde „unter dieser Farbe“.
Marlene Baum stellt in ihrer Veröffentlichung „Das Pferd als Symbol“ (Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt/ M., 1991) die These auf, dass „das Pferd in beinahe allen Mensch-Pferd-Darstellungen den Menschen steigert, spiegelt oder kontrastiert und damit zum wesentlichen Ausdrucksträger wird.“ Dem kann ich nur beipflichten.
Die Sonderstellung, die dem Schimmel in der darstellenden Kunst zukam, blieb unverändert. Er war und blieb ein Zeichen des Triumphs. Daher ist folgendes Gemälde von Tizian aus dem Jahr 1548 sehr interessant: Es zeigt Kaiser Karl V nach der Schlacht bei Mühlberg auf einem reich verzierten Rappen. Die Schlacht ist vorbei. Er hatte sie gewonnen und befindet sich auf dem Heimritt in der Abenddämmerung. Doch warum sitzt er nicht auf einem Schimmel, wie man das nach einem Sieg erwarten konnte? Des Rätsels Lösung: Mit diesem Bild sollte die Würde es Herrschers und nicht sein Triumph unterstrichen werden, denn bei dem Sieg, den er dort errungen hatte, handelte es sich lediglich um einen militärischen Erfolg. Seinem eigentlichen Ziel, der Niederwerfung des gesamten Luthertums, war er damit nicht nähergekommen.
Eine ebensolche Besonderheit können wir bei dem 1749 fertiggestellten Portrait der Kaiserin Elisabeth Petrowna von Russland des deutschen Künstlers Georg Christoph Groot erkennen: Die Kaiserin sitzt im Männersitz(!) auf ihrem Pferd (KEIN Schimmel!), neben ihr geht jedoch ein weißgekleideter(!) afrikanischer Diener. Im Hintergrund sieht man ihre Flotte. Dieses Gemälde ist tatsächlich gleichzusetzen mit einem Propagandaplakat!
Wir sehen also einmal mehr – das Pferd hatte wesentlichen Einfluss auf die Weltgeschichte!
Wenden wir uns jetzt noch der Malerei im England des 18./19. Jahrhunderts zu.
Die sogenannte „Anglomanie“ veränderte die Pferdezucht und ließ das Pferd zum Sportgerät der reichen Herrschaften werden. Die Reitkunst trat deutlich in den Hintergrund. Das englische Vollblut entstand durch das Einkreuzen von Pferden aus dem nordafrikanischen und südeuropäischen Raum. Das Pferd wurde auf ein raumgreifendes Gangwerk gezüchtet, das sich – wenn überhaupt – nur sehr schlecht aussitzen ließ. Man ritt nun „englisch“, das heißt, man trabte leicht. Die Sattelform wurde eine andere und Jagdreiten und Pferderennen wurden zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Oberschicht. Der wohl berühmteste Maler dieses Genres, nämlich der „Sporting Art“ ist George Stubbs (1724 – 1806), der sich eingehend mit der Anatomie der Tiere (nicht nur der Pferde) beschäftigte. In seinem Werk sehen wir die meisten Pferde in Brauntönen gemalt. Zu dieser Zeit war es modern, sich vor seinem Besitztum portraitieren zu lassen. Bei Paaren galt: Damen wurden zu dieser Zeit nicht nur in England gern auf Braunen, Herren – als Zeichen der Macht – auf Rappen dargestellt.
In der nicht-christlichen Welt finden wir durchgehend zahlreiche Bilder von Pferden in allen Färbungen, inklusive Schecken, z.B. aus Persien, Indien, China, aus der Mongolei oder Japan. Hier habe ich keine Hinweise auf eine eventuelle Sonderstellung von Pferden einer bestimmten Fellfärbung gefunden.
Tatsächlich gibt es in der Kunst- und Kulturgeschichte auch Darstellungen von schwarzen Pferden OHNE Bezug zu einer oder mehreren Personen, OHNE Symbolgehalt, sondern als rein kompositorisches Detail, wie z.B. Franz Marcs „Schwarzes und weißes Pferd in Gebirgslandschaft mit Regenbogen“ von 1911.
Kommen wir jetzt mehr oder weniger in die Gegenwart. Welche schwarzen Helden kennen wir? Natürlich – wir denken sofort an Black Beauty! Dann selbstverständlich Fury (, der übrigens von demselben Pferd gespielt wurde wie Black Beauty!), Iltschi und Hatatitla, die tollen Pferde von Winnetou und seinem Blutsbruder Old Shatterhand und Blitz, den schwarzen Hengst. Nicht zu vergessen Tornado, Zorros treues Pferd, und natürlich Ostwind, der aktuell durch unsere Wohnzimmer galoppiert. Was haben diese Pferde außer ihrer Farbe alle gemeinsam? Alle sind außergewöhnlich intelligent, dem Menschen zugewandt und Freund und Helfer in der Not. Sie symbolisieren die Freiheit, Schönheit, Abenteuer, stehen für Freundschaft und das Gute. Hier ist nichts mehr zu erahnen vom religiösen Einfluss, der einst in der darstellenden Kunst allgegenwärtig war.
Und doch umgibt auch heute noch ein Hauch des Geheimnisvollen unsere schwarzen Pferde. Wie ist die Vorliebe für die schwarzen Friesenpferde sonst zu erklären? Und warum sonst sollte der Film damit spielen, wenn es nicht unheimlich wäre, wenn eine Wand von schwarzen Pferden und Reitern auf die Kamera zu galoppiert? Eine fröhlich bunte Herde würde niemals einen solchen Eindruck hinterlassen wie die Nazgûl in Tolkiens Herr der Ringe…